
Die Wellen der digitalen Disruption branden weiter an. In den späten 90er Jahren haben wir erlebt, wie die Musik-, Video-, und Photographie-Welt auf den Kopf gestellt wurde. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends haben wir gesehen, wie sich die Geschäftsmodelle von TV, Print, Reisen oder auch Immobilien grundlegend geändert haben. Im zweiten Jahrzehnt haben sich Fashion und Retail insgesamt, sowie Finanzindustrie, Bildung, Kommunikation, Mobilität und mehr radikal geändert. In allen Fällen haben die bis dato ungeahnten technologischen Möglichkeiten dazu geführt, dass sich stark verbesserte oder völlig neue Kundenmehrwerte erzeugen ließen - was wiederum dazu führte, das sich Kundenerwartungen synchron dazu verschoben haben. Manch goldene Cash Cow vergangener Jahre wird von Kunden nun als Standard wahrgenommen und manches neue digitale Serviceangebot kann margenstark an den Mann und die Frau gebracht werden.
Diese Disruptionswellen erreichen in diesen Tagen immer intensiver die Küsten der B2B Unternehmen. Kunden stellen neue Anforderungen, neue Wettbewerber tauchen auf, alte überholen plötzlich mit digitalen Angeboten, Profitabilitätsprobleme stellen sich ein. Irgendwie scheint sich die Welt da draußen deutlich schneller zu drehen, als man darauf reagieren kann. Solche und ähnliche Symptome werden von immer mehr Unternehmenslenkern im B2B Bereich beobachtet
Nun ist bekanntermaßen die Digitalisierung nur auf den ersten Blick eine rein technologische Veränderung. In Konsequenz ihrer Dynamik verursacht sie massive Anpassungsnotwendigkeiten in praktisch allen Bereichen des Unternehmertums: Geschäftsmodelle, Führungskultur, Innovationsgeschwindigkeit, Agilität, Organisationsmodelle, strategische Prioritätensetzung und mehr.
Kunderfahrung > Standardprozesse
B2B Unternehmen haben dabei oft eine besondere Herausforderung, den entstehenden Anforderungen zu begegnen. Sie blicken nicht selten auf eine Jahrzehnte- manchmal Jahrhundert-lange erfolgreiche Geschichte zurück. In dieser Zeit galt insbesondere der technischen Produktkompetenz höchste Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Zu Recht, denn über lange Jahre war die Technik, das Produkt und dazu gehörige Services der maßgebliche Differenzierungsfaktor. Rahmenbedingungen hinsichtlich der Prozesse im Markt sowie der Kundenanforderungen änderten sich nur langsam.
Daher konnten sich die Unternehmen darauf konzentrieren, die Kosteneffizienz durch maximale Standardisierung in möglichst vielen Bereichen zu optimieren. Detaillierte Prozess- und Ablaufbeschreibungen regeln fast alle Bereiche des täglichen Arbeitens und Entscheidens. Diese Unternehmen haben sich also über lange Jahre darauf ausgerichtet, Veränderungen abzuwehren und Entscheidungen aus inneren Erwägungen her abzuleiten.
Das muss sich nun ändern. Chancen im Markt, Kundenanforderungen und technologische Möglichkeiten ändern sich so rasant, dass zu starker Fokus auf Bestand und Standardisierung zum Wettbewerbsnachteil werden kann.
Selbstverständlich bleibt das bisherige Produkt weiter eine wichtige Kernkompetenz und Standardisierung ist in manchen Bereichen immer relevant. Allerdings müssen sich B2B Unternehmen heute intensiv fragen, in welchem Kontext ihr Produkt beim Kunden stattfindet. Die gesamte Customer Journey gewinnt zunehmend an Bedeutung, wird zum Wettbewerbsfaktor und manchmal gar zum verkaufsfähigen Produkt. Wie will der Kunde bestellen? Wie möchte er einen Service beauftragen? Wie kann man seine betrieblichen Abläufe anhand von Geräte- und Nutzungsdaten unterstützen? Wie möchte er mit seinen Dienstleistern interagieren? Will er überhaupt noch kaufen, oder lieber Pay-per-use nutzen?
Attackiere Dein Geschäftsmodell, sonst machen es andere
Diese Verschiebung bedeutet, dass B2B Unternehmen die Reihenfolge ihrer Prioritäten in manchen Bereichen neu sortieren müssen. Wo in der Vergangenheit oft gefragt wurde: 'Passt das zu unseren Prozessen?' oder 'Können wir das intern verkaufen?' muss heute noch viel mehr gefragt werden: 'Wie können wir den Kunden über das Kernprodukt hinaus begeistern?' Und von der Antwort auf diese Frage ausgehend, muss rückwärts in die Organisation gearbeitet werden.
Die Fähigkeit zur Selbstreflexion und zur Anpassung an neue Rahmenbedingungen wird für B2B Organisationen zur Kernkompetenz. Denn eines ist sicher: Früher oder später wird sich jemand diese Fragen stellen und smart beantworten. Sei es der bekannte Wettbewerb oder immer professioneller agierende und mit immer mehr Finanzmitteln ausgestattete Startups.
Die Veränderung kommt - die Frage für B2B Unternehmen bleibt lediglich ob sie agieren oder reagieren möchten.
Digitalisierung ist Chefsache
Veränderung tut weh, macht Angst und wird daher oft vermieden oder gar aktiv bekämpft. Das ist nicht neu und gilt als Erkenntnis schon lang. Neu sind allerdings Frequenz und Intensität der zu bewältigenden Veränderungen. Selbst für diejenigen, die sich intensiv mit der Digitalisierung und Ihren Beteiligten auseinander setzen, gibt es Momente in denen der Kopf schwirren kann.
Große, komplexe und langjährig eingeschwungene Organisationen sind daher schnell überfordert. Es kann äußerst komplex und aufwendig sein, Informationen in solchen Strukturen zu streuen, Strategien zu erläutern und Motivation zu erzeugen. Umgekehrt verbreiten sich Gerüchte, Sorgen und Zweifel rasant.
Vor diesem Hintergrund lässt sich die Bedeutung exzellenter Führung gar nicht hoch genug bewerten. Es ist unerlässlich, dass insbesondere die Unternehmensspitze die Tugenden vorlebt, die große Teile der Organisation aufnehmen müssen. Es braucht CEOs, die ihre eigenen Kompetenzen für alle sichtbar auf den Prüfstand stellen und sich nicht zu schade sind, offene Flanken zu schließen. Die in der Lage sind, klare Prioritäten in Richtung Digital zu setzen, zu begründen und mit positiver Energie trotz aller Widerstände voran zu bringen. Die wissen, dass Fehler in einem solchen Prozess kein Makel sondern wertvolle Assets sind, die helfen, den beschrittenen Weg immer wieder nachzujustieren.
Daher ein ermutigender Appell an alle B2B Unternehmen: Die Digitalisierung kann zu Zeiten anstrengend und ermüdend sein. Aber auch eine Quelle großer Zufriedenheit und Motivation, wenn sichtbar wird, wie Altes mit Neuem harmoniert und wie ein modernes, auf den Kunden ausgerichtetes Produkt- und Serviceportfolio greift, funktioniert und profitables Wachstum produziert.
Die gute Nachricht dabei: Sie sind in Ihren Herausforderungen nicht allein. In vielen Bereichen gibt es nach wie vor hervorragende Chancen, sich vom Wettbewerb abzusetzen. Und es gibt exzellente digitale Köpfe in Deutschland, die helfen können, den Weg strategisch klug einzuschlagen.