
Die Digitalisierung beschäftigt die Unternehmen intensiv nun schon seit mehr als 10 Jahren. Maßgeblich bis dato allerdings vornehmlich im B2C Sektor. Online verkaufen, mit Kunden interagieren oder digitale Services haben sich dort als erstes durchgesetzt. Relativ homogene Zielgruppenstrukturen und Kaufprozesse haben es möglich gemacht.
Im B2B Sektor ist in der Breite immer noch vergleichsweise wenig passiert. Das liegt unter anderem daran, dass sich die Geschäftsmodelle noch länger auf die Alleinstellungsmerkmale der viel komplexeren Produkte stützen konnten. Oder daran, dass die Strukturen der Buying Center auf Kundenseite ungleich heterogener und schwerer mit digitalen Standards ansprechbar sind. Natürlich gibt es schon einige B2B-Unternehmen, die sehr innovativ und auch erfolgreich die Digitalisierung für sich und ihre Kunden nutzen. Aber oft sind digitale Initiativen in der Industrie auf einzelne Abteilungen begrenzt, die zudem viele politische Grabenkämpfe mit der Stammorganisation ausfechten müssen.
So hat sich bisher noch nicht in der Breite erkennen lassen, dass die B2B-Welt den großen Hebel umgelegt hat. Doch es beginnt ein anderes Lüftchen zu wehen - die deutsche Industrie wacht langsam auf. Hier sind sechs Gründe warum.
1. Politik und Gesellschaft beenden ihren Dornröschenschlaf
Die Digitalisierung hat in den vergangenen Jahren im privaten wie beruflichen Kontext eine rasante Entwicklung genommen. Vor nur 10 Jahren war das Nokia N97 eines der best bewerteten Business Handys. Auf den PCs zu Hause lief oft noch Windows Vista. Heute lässt sich ein Familienalltag ohne Whatsapp, Yelp und iPhone ebenso wenig denken, wie immer bessere IT Systeme und Prozesse in den Büros, Automatisierung in den Fabriken oder autonome Roboter in den Lägern.
Diese Entwicklungen sind inzwischen so breit und weitreichend, dass sie gesellschaftliche und politische Fragen aufwerfen. Gesetze und Regelungen werden diskutiert und eingeführt - mit unterschiedlichem Erfolg. Die Digitalisierung ist Top Thema in den großen Medien und so merken auch immer mehr Unternehmenslenker, dass sich die tektonischen Platten verschieben. Auch beim eingefleischten Digitalisierungs-Verneiner beginnt sich eine Stimme im Hinterkopf zu melden.
2. Die Financial Reports sehen 'komisch' aus
Über manchmal mehr als 100 Jahre hinweg haben sich die starken Technologieunternehmen in Deutschland im weltweiten Wettbewerb hervorragend behaupten können. Weil die Technologie unerreicht und die Qualität unschlagbar waren. Beides ist in den vergangenen 15 Jahren immer mehr unter Druck geraten - von zwei Seiten.
Erstens haben viele andere Länder technologisch und qualitativ aufgeholt. Aus Asien und anderswo kommen heute Produkte, die ähnlich gut sind wie die deutschen Pendants, allerdings zu deutlich niedrigeren Preisen. Zudem sorgt der anhaltende Kosten- und Effizienzdruck auf Kundenseite dafür, dass die High-Feature-Luxus-Ausführungen aus Deutschland zum Teil nicht mehr in die Budgets passen.
Zweitens hat die fortschreitende Digitalisierung dafür gesorgt, dass auch im B2B hoch attraktive digitale Produkte und Services entwickelt werden können, die so interessant sind, dass Kunden bereit sind, dafür viel Geld zu bezahlen. In manchen Fällen werden diese Angebote im Zusammenspiel mit dem traditionellen Portfolio gar Deal-entscheidend.
Beide Dynamiken sorgen dafür dass die Profitabilität der klassischen Geschäftsmodelle unter Druck gerät und sich die Wertschöpfung in Richtung Daten und Software getriebener Geschäftsmodelle verschiebt. Das beginnen auch die CFOs in ihren Reports zu sehen und sie wachen auf.
3. Der Wettbewerb überholt von rechts
Sicher, in der Breite scheint die Digitalisierung im B2B noch nicht angekommen zu sein. Das heißt aber nicht, dass es nicht schon einzelne Champions gibt. Es gibt bereits Unternehmen, die eine digitale After Sales Plattform anbieten, oder ein Remote Maintenance Tool, die Kundenanfragen zum Teil per Chatbot beantworten, oder ihren Kunden eine voll-integrierte Auftragsabwicklung per API Schnittstelle bieten. Bei jedem dieser Unternehmen reibt sich manch Wettbewerber verwundert die Augen und fragt sich, wie denn dieses coole Angebot so plötzlich aufgetaucht ist. Und damit nicht genug: Smarte und freche Startups entwickeln Lösungen und Produkte, schlanker und Kunden-orientierter als die Großen, die ganze Geschäftsmodelle ins Wanken bringen können.
Manch Geschäftsführer schaut im Moment in den eigenen Laden und stellt fest, dass ganz offensichtlich wesentliche Hausaufgaben nicht gemacht wurden. Diese Lücke wollen gerade immer mehr Unternehmen schließen oder gar nicht erst entstehen lassen.
4. Die Technologie wird langsam B2B-fähig
Der B2C Sektor hat sich deutlich früher und schneller digital entwickelt, weil die Anforderungen verglichen mit der B2B Welt deutlich weniger komplex sind. Einen Online Shop ließ sich deswegen recht früh im B2C aufsetzen, weil Zielgruppe, Produkt und Kaufprozess recht einfach sind. Ich verkaufe Sportschuhe, an 14-29-jährige und biete Kreditkarte, Sofort Überweisung und Rechnung an. Das geht technisch schon lange sehr gut. Die massiven Entwicklungen der letzten Jahre konnten daher zum Beispiel auf Suchmaschinenwerbung, individualisierter Kundenansprache oder Cross- und Upselling liegen.
Allein der Kaufprozess ist im B2B deutlich aufwendiger. Es gibt eine Vielzahl an Beteiligten, die Produkte sind oft hoch-komplex und müssen erklärt werden. Eine Menge technischer Daten muss abgebildet werden, die sich auch noch regelmäßig ändern. Freigaben sind nicht immer in allen Ländern gleichzeitig vorhanden. Es braucht PO-Nummern, Freigabeworkflows, Integration in eine Vielzahl von ERP-Systemen und mehr. Und hier sprechen wir nur vom Kaufprozess. Anwendungsbereiche für künstliche Intelligenz, Bilderkennung, Robotik, Chatbots, Blockchain-Lösungen, Machine Learning, Internet of Things sind potenziell hochinteressante Technologien.
Die technische Innovation der letzten 5 Jahre hat hier nun so viele Fortschritte gemacht, dass die Komplexität der B2B Welt prinzipiell abgebildet werden kann. Es entsteht Bewegung.
5. Daten und Infrastruktur stehen irgendwie im Weg
Daten und IT-Infrastruktur in vielen deutschen Technologieunternehmen waren auf zwei Zwecke ausgerichtet:
(1) Unterstütze die Entwicklung und Betreuung der Produkte
(2) Standardisiere so viel wie möglich, um die Operating Expenses zu minimieren
Das war auch lange gut so, doch nun haben sich die Anforderungen radikal geändert. Wenn sich Daten- und Software-getriebene Geschäftsmodelle und digitale Kundenanforderungen immer mehr in den Vordergrund schieben, müssen sich auch die Datenstrukturen und IT-Systeme dem anpassen. Daten müssen so aufbereitet, geführt und nutzbar gemacht werden, dass sie vornehmlich einer positiven Kundenerfahrung dienen. IT-Systeme dürfen nicht mehr ausschließlich für den internen Prozess arbeiten, sondern immer mehr für die Abläufe an der Schnittstelle zum Kunden.
Diese Situation stellt einen riesigen Roadblock dar. Denn die Entwicklung von digitalen Lösungen ist ohne eine Anpassung von Daten und IT-Strukturen schlicht nicht möglich. Immer mehr B2B Unternehmen machen gerade ihre Erfahrungen mit dieser unsichtbaren Gummiwand, die ihnen von ihren Projektmanagern regelmäßig zurück gespiegelt wird. Bedauerlicherweise sind hier in der Regel größere Baurarbeiten nötig, denn das System ist komplex und groß. Doch viele Unternehmen erkennen das und legen los. Nicht umsonst wird gerade viel zu 'PIM-Systemen' gegoogelt.
6. Kultur ist ein Allesfresser
'Culture eats strategy for breakfast' ist über die Jahre zu einem bekannten Sprichwort geworden. Allerdings gehört für mich der Satz 'Culture eats implementation for breakfast' gleichberechtigt dazu. Es ist ja nicht so, dass B2B Unternehmen nicht in der Lage wären, Strategien aufzulegen. Oft weisen diese Strategien auch in die richtige Richtung, denn die Analysen - gerade im Fall der Digitalisierung - drängen sich ja nahezu auf. Allerdings werden diese Strategien auch meist in eingegrenzten Teams zusammen mit dem Vorstand entwickelt und dann auf die Organisation losgelassen. Und an dieser Stelle fallen viele Strategien flach auf den Bauch. Denn Strategie bedeutet Veränderung und die macht Angst.
Bis hierhin gilt das Gesagte im übrigen schon lange. Beteilige deine Mannschaft am Strategieprozess oder spar dir lieber die Zeit und das Geld. Nun legt die Digitalisierung leider noch eine Schippe drauf. Die erforderlichen Veränderungen sind nicht nur massiv im Hinblick auf Geschäftsmodelle, Daten, IT-Systeme und Prozesse sondern auch auf die Kultur und die damit einhergehenden Ansätze und Methodiken. Aus hierarchisch wird kooperativ, aus sequentiell wird agil, aus Fehlervermeidung wird Fehlernutzung, aus Produktfokus wird Kundenfokus und vieles mehr.
Der kritische Punkt ist der: Egal wie gut eine Strategie, egal wie ausgefeilt ein Umsetzungsplan ... wenn die Kultur nicht entsprechend ausgerichtet wird und die Geschäftsführung nicht persönlich und hartnäckig dahinter ist, werden diese Vorhaben scheitern. Glücklicherweise setzen sich diese Erkenntnisse spürbar mehr in Unternehmen durch. Projekte werden agil geführt. Es werden Key Note Speaker zu New Work Methoden eingeladen und mehr und mehr Manager haben schon mal von VUCA gehört.
Es ist eine spannende Zeit für alle B2B Beteiligten. Es gibt noch große Probleme zu lösen, aber auch fantastische Chancen. Es herrscht Aufbruchstimmung bei einer zunehmenden Zahl von B2B Unternehmen. Und die, die jetzt schnell und innovationsfreudig sind, können sich deutlich in ihrer Wettbewerbsfähigkeit verbessern.
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