
Effizienz, Standardisierung, langfristige Planung, klare Rollenverteilung und damit auch pyramidenförmige Hierarchien in einer Matrix angeordnet - das waren in den vergangenen Jahrzehnten unumstößliche Paradigmen für erfolgreiches Unternehmertum, insbesondere im Technologie-orientierten, international agierenden Mittelstand.
Über lange Zeit haben sich diese Mechanismen auch bewährt und wurden immer weiter verfeinert. Denn sie standen auf einigen fundamentalen Strukturelementen.
- Das Produkt bzw. die Technologie steht im Zentrum der Differenzierung
- Die Abläufe im Unternehmen und mit dem Kunden ändern sich kaum und nur langsam - Effizienzorientierung bietet sich an
- Wissen vermehrt sich nur langsam und kann in Führungs- oder Expertenrollen gebündelt werden
- Die Wettbewerbssituation ist relativ stabil
- Um Komplexität zu beherrschen, können eine Vielzahl von Prozessdefinitionen Mitarbeitern Klarheit geben, was wann zu tun ist
Unter dem Strich herrschte also eine relativ überschaubare Ansammlung von Komponenten anhand derer Dinge wie Mittelfristplanung möglich waren. Es war einigermaßen antizipierbar welche Resultate bei bestimmten Maßnahmen zu erwarten sind. Dementsprechend sind prozessorientierte Matrixorganisationen auf ein Ziel getrimmt: Veränderungen abzuwehren, um möglichst effiziente Standardprozesse fahren zu können.
Und damit tun sie ziemlich genau das Gegenteil von dem, was die Digitalisierung erfordert. Charakteristisch für die Digitalisierung ist die Entwicklung neuer technischer Möglichkeiten in so atemberaubender Geschwindigkeit, dass permanent die Regeln des Spiels neu geschrieben werden. Die Auswirkungen auf Portfolio, Kultur, Geschäfts- und Organisationsmodelle von Unternehmen sind so tiefgreifend und sich ständig wandelnd, dass der Anspruch nach Standardisierung nicht nur nicht hilfreich sondern schädlich sein kann.
Planbarkeit über längere Zeithorizonte ist nicht mehr möglich. Mehrjährige Entwicklungszyklen werden viel zu lang. Klassisches Wasserfall-Projektmanagement ist in vielen Bereichen zu starr. Experimente, Kundenzentrierung, Fehlerfreude sind neue Paradigmen, die den alten jedoch oft emotional diametral entgegen stehen.
Nun werden sich einige Matrixorganisationen der Digitalisierung stellen wollen, ohne zuerst ihre Organisations- und Kulturstruktur zu ändern. Das wäre natürlich auch vollkommen unrealistisch und unpraktikabel. Daher hier einige Do's und Don'ts an Vorstände und Geschäftsführungen für diesen Weg.
1. Iss den Elefanten Stück für Stück
Die Aufgaben, die sich für Unternehmen aus der Digitalisierung ergeben sind riesig. Lass Dich davon nicht überfordern. Da sich die Dinge so schnell parallel ändern ist ohnehin kein anderes Vorgehen sinnvoll, als sich einzelne Pakete zu schnappen und daran zu arbeiten, dort konkrete Fortschritte und (kostengünstige) Fehler zu machen. Also, schneide den Elefanten in kleine Stücke.
2. Schütze Digital-Initiativen vor der Stammorganisation
Die Stammorganisation - insbesondere die Führungsmannschaft - wird zu großen Teilen skeptisch bis ablehnend reagieren. Das ist zu guten Teilen menschlich, denn Veränderung macht Angst. Nochmal mehr, wenn meine lieb gewonnenen Wahrheiten und damit meine Machtposition in Frage gestellt wird.
Digital Initiativen werden daher aktiv und bewusst oder passiv / indirekt sabotiert werden. Stelle also sicher, dass die Initiativen soweit möglich davor geschützt werden. In jedem Fall ein klar kommuniziertes Mandat, Team und Budget. Darüber hinaus unter Umständen eigene Büros und Entscheidungsfreiräume. In manchen Fällen lässt sich das bis hin zu einer temporären Ausgründung denken, um die Teams auch vor Prozessen und Regularien des Großtankers abzuschirmen.
3. Baue Kompetenzen Inhouse auf
Zweifelsfrei wirst Du in Deine Mannschaft schauen und fest stellen, dass Dir viele Kompetenzen fehlen. Wissen zu eCommerce, digitalem Marketing, Data Science, Automatisierung, künstlicher Intelligenz, agilem Projektmanagement, UX Design und Development und vielem mehr wird je nach Strategie von Nöten sein.
Daher wirst Du Dich zu Beginn externer Unterstützung von Beratern bedienen müssen. Achte aber gleich zu Beginn darauf, dass in Deiner Organisation die Kompetenzen synchron mit wachsen. Schicke die Leute zu Schulungen und in Netzwerke. Beteilige viele in digitalen Projekten. Schaffe Plattformen für internen Wissensaustausch. Ansonsten wird eine spätere Skalierung nach oben sehr teuer.
4. Sei stur gegenüber Deiner Führungsmannschaft
Deine Führungsmannschaft wird in manchen Momenten Dein ärgster Widersacher sein. Vielen wird nicht gefallen zu sehen, wie plötzlich Personal, Budgets und Aufmerksamkeit in eine Richtung fließen, die sie wenig verstehen und daher nicht kontrollieren können. Darüber hinaus riechen viele, dass dort etwas kraftvolles dabei ist, zu wachsen und, dass sich die Powermap im Unternehmen perspektivisch verschieben wird.
Du wirst Dinge hören, wie
- 'Das wollen unsere Kunden nicht'
- 'Wenn wir das machen, werden wir Umsätze verlieren'
- 'So werde ich meinen Business Plan nicht erreichen können'
- 'Dann möchte ich aber, dass dieses Projekt an mich berichtet'
- 'Ohne mein Ok passiert hier gar nichts'
- 'Das müssen wir erst nochmal in Ruhe bewerten'
Lass Dich davon nicht einfangen. Bleib stur und am Ball. Challenge natürlich Deine Digital-Initiativen, aber widerstehe den Einflüsterungen besorgter Führungskräfte. Und vermeide, die Digitalisierung irgendwo anders als an Dich oder Deine Vorstandskollegen zu hängen. Dieses Thema ist Chefsache, denn wenige Themen müssen mit so viel Widerstand zurecht kommen.
5. Schaffe Anreize, zu unterstützen
Damit die Dinge gut voran gehen, werden viele Menschen beteiligt werden müssen. Experten, Führungskräfte oder einfach fleissige Helfer. Dabei werden manche große Lust haben, mit einzusteigen. Und manche werden es argwöhnisch betrachten, dass da hinten diese 'Cool Kids'-Truppe entsteht.
Versuche daher einerseits eine Arbeitsumgebung zu schaffen, die Spaß macht und inspiriert. Durch Entscheidungsfreiräume, moderne Technologie und auch durch eine Büroumgebung, die sich erfreulich von einem Postamt der später 80er unterscheidet. Achte andererseits darauf, dass auch die Skeptiker positive Signale bekommen. Zum Beispiel in dem stark auf Transparenz geachtet wird und der Duktus eines Geheimclubs vermieden wird. Oder auch in dem Führungskräfte Vorteile davon haben, ihre Mitarbeiter in die Teams zu entsenden.
6. Stelle eine Toolbox bereit, die allen offen steht
Deine Digital-Initiativen sollten immer zwei Stoßrichtungen haben: Einmal die Ihnen zum Ziel gegebenen Resultate zu produzieren und andererseits als Leuchtturm und Beispiel für alle anderen zu dienen. Die Leuchtturm-Funktion ist wichtig, um Stück für Stück an konkreten Beispielen zu lernen, worum es eigentlich geht und welche Potenziale auch für andere Teams und Bereiche darin stecken.
Damit diese organischen Erfahrung leicht aufgenommen und verwertet werden können, stelle sicher, dass Zugriff auf die verwendeten Werkzeuge besteht. Das kann zum Beispiel die Öffnung des Workshop-Bereichs des Digital Teams für alle sein. Oder Zugriff auf agile Projektmanagement Coaches. Oder freie Teilnahme an Key Note Speeches von externen Digital Experten.
7. Stelle Dich in Frage und sprich darüber
Wie jeder Veränderungsprozess, der Aussicht auf Erfolg haben soll, lebt auch die Digitalisierung davon, dass sich die entscheidenden Persönlichkeiten zunächst selbst in Frage stellen, wo nötig ändern und mit gutem Beispiel voran gehen. Achte daher darauf, selbst der erste zu sein, der seine gesetzten Wahrheiten in Frage stellt. Deine Mannschaft wird ein sehr feines Gespür dafür haben, ob Du Dinge von ihnen verlangst, die Du selbst nicht bereit bist zu tun.
Darüber hinaus kannst Du gute Beispiele für Handlungsansätze liefern. Zum Beispiel in dem Du kommunizierst, wie Du den Planungsprozess umgestellt hast und wieso. Oder wie die Entscheidungswege im Vorstand ab sofort agiler und hierarchieärmer getroffen werden.
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